Surfing auf Asphalt: Slalom und Freestyle (1960 – 1975)
Wenn in der breiteren Öffentlichkeit etwas über die Herkunft von Skateboarding bekannt ist, dann folgende Annahme: Es stamme in direkter Linie vom Wellenreiten ab. Tatsächlich ist das aber nicht so eindeutig. Doch daneben waren auch Sportarten wichtig, die man heute weniger mit Skateboarding verbindet: das Rollschuhfahren, das Turnen, teils Leichtathletik und sogar Ski alpin. Damals war das auch folgerichtig: Schließlich entwickelt sich bis etwa 1975 der Slalom zur dominierenden Disziplin. Zum Programm von Skateboard-Wettkämpfen zählt damals neben Slalom und Downhill auch Freestyle – ein Figurenfahren auf ebener Fläche, das nicht zuletzt aus Turnübungen auf nur langsam rollenden Brettern besteht. Sogar Hochsprung gab es damals, mit Latten und Rekorden.
In dieser Form wächst Skateboarding zwischen 1960 und Mitte der 1970er im Grunde zu einer zwar neuen, aber doch vergleichsweise konventionell aufgestellten Sportart heran. Im Wettkampfsport müssen sich ja körperliche Bewegungen möglichst genau messen und vergleichen lassen. Dafür eignet sich das Skateboarding der 1970er: Beim Slalom und Downhill regiert die Stoppuhr – und im Freestyle gibt es, ähnlich wie im Rollkunstlauf, einen mehr oder minder fixen Kanon an Manövern. Und nicht nur die damaligen Disziplinen passen zum Sportbetrieb. Rasch entstehen auch entsprechende Organisationsformen: Vereine und Verbände, die zum Beispiel definieren, wie ein Slalomkurs auszusehen hat. Auf dem Brett wie auch kulturell hat diese Art von Skateboarding nur wenig mit der „Skateszene“ zu tun, die man aus späteren Zeiten kennt.
Punkrock im Vorgarten: Die Erfindung der Vertikalen (1975 – 1990)
Doch entwickelt sich Skateboarding nach 1975 nicht einfach geradeaus weiter. Anders als andere Sportarten verändert es mehrfach ganz grundlegend sein Gesicht. In der zweiten Hälfte der 1970er fängt eine kleine Gruppe von Aktiven damit an, das Skateboard fahren in die steilen, unten gerundeten und oben vertikalen Wände trocken liegender Swimming-Pools zu übertragen. Dabei entstehen ganz neue Manöver, etwa Airs (Sprünge über die Oberkanten dieser Wände) und die Liptricks, bei denen Tail/ Nose, „Bauch“ oder Achsen des Skateboards für Tricks an der Kante genutzt werden. Diese ganz neue, spektakuläre Art des Fahrens verbreitet sich rasch und löst das bisher dominante Modell von Slalom und Freestyle schnell ab.
Bei dieser „Neuerfindung“ verändert sich auch die Kultur von Skateboarding grundlegend: Aus der relativ konventionellen Sportart von 1975 wird in diesen Pools eine rebellische Jugendkultur. Erstens passt die gerade entstehende Disziplin Vert oder Transition zumindest anfangs schon als solche schlecht zum Wettkampfsport. Die neuen Manöver lassen sich nämlich nicht messen und vergleichen: Ist es „schwieriger“, mit dem Brett über die Kante zu springen oder mit einer Achse auf einer bestimmte Weise auf dieser Kante zu grinden? Das kann zunächst niemand sagen.
Es ist also zunächst schon mit den Bewegungen eine gewisse Distanz zum klassischen Modell des Wettkampfsports geschaffen. Gefördert wird dessen Wandlung zu einer Jugendszene aber noch durch zwei weitere Faktoren: Der Zugang zu diesen in privaten Vorgärten oder auf Ruinengrundstücken mit Pools, wird sich verbotenerweise verschafft. Und zweitens überschneidet sich die Szene mit der Musikszene des Punkrock und Hardcore. Dessen Ästhetik wird in Teilen übernommen, die Attitüde ebenfalls. In dieser Skateboard-Jugendszene ist Zugehörigkeit nicht etwa über Vereinsmitgliedschaften geregelt. Es geht um die Kenntnis der „geheimen Orte“ und sehr spezifischer Symbole und Codes.
Bis in die früheren 1980er versteht sich diese Form von Skateboarding geradezu als Anti-Sport. Sicherlich ist es eine körperlich fordernde und komplexe Bewegungskunst. Kulturell steht es aber all dem entgegen, was man in dieser Szene unter „Sport“ versteht – nämlich Organisation, Hierarchie und Disziplin. Allerdings beginnt in der zweiten Hälfte der 1980er das Pendel ein Stück zurückzuschwingen. Die „gefundenen“ Schwimmbecken werden allmählich durch eigens zum Skaten konstruierte Halfpipes ersetzt. Da sich diese Rampen von Ort zu Ort weit ähnlicher sind als „gefundene“ Pools, lässt sich Skateboarding wieder besser überregional vergleichen. Überhaupt geht mit der Standardisierung des Terrains eine gewisse Standardisierung der Bewegungen einher. Zumindest in Deutschland gewinnen auch Vereine wieder an Bedeutung, um die aufwändigen Halfpipes zu betreiben. So ist Skateboarding Ende der 1980er durchaus wieder auf dem Weg in Richtung einer – wenn auch kulturell etwas besonderen – Wettkampfsportart. Während der Schlusszeremonie der Spiele von Los Angeles 1984 wird Halfpipe-Skateboarding erstmals bei Olympia gezeigt.
Ollies, Kickflips und Hiphop: Zurück auf die Straße (1990 – 2000)
Wieder kann man sagen: Hätte sich Skateboarding seit den späteren 1980ern linear weiterentwickelt, wäre es vielleicht ein „normaler Sport“. Und womöglich schon früher olympisch geworden. Denn dominant wird jetzt derjenige Fahrstil, den man bis heute landläufig mit Skateboarding verbindet: Street(style). Es wird das geskatet, was in der Stadt zu finden ist: Treppenstufen, Geländer, Blöcke, Randsteine, Bänke, Schrägen, usw… Der Ollie ist elementare Basis für all das und revolutioniert das Skaten (bereits in den 80er Jahren erfunden). Es werden Liptricks aus dem Transition-skaten und Varials und Flips aus dem Freestyle übernommen.
Währenddessen hat das Halfpipe- und Transition Skateboarding eine große Masse erreicht und Contests, wie bspw. X-Games Skateboarding als Disziplin aufgenommen. Der Hype und Personen, wie Tony Hawk und Danny Way ist nicht mehr zu leugnen. Skateboarding ist zum zweiten Mal wirklich im Mainstream angekommen.
Mit dieser zweiten „Neuerfindung“ um 1990 wird nun wieder eine pointiert subkulturelle und szeneförmige Kultur rund um das Skateboard prägend. Vereine als Betreiber von Skateboardanlagen werden zunächst kaum noch benötigt. Der Zugang zu den nun wieder überwiegend Skate-Spots geht abermals oft mit Regelverletzungen einher. Und erneut entzieht sich Skateboarding schon in seinen Bewegungen weitgehend den Messbarkeits- und Vergleichbarkeitskriterien des Wettkampfsports. Besonders in den früheren bis mittleren 1990ern herrscht ein hyper-technischer Fahrstil vor, dessen hochkomplexe Kombinationen aus Flips, Varials, Slides und Grinds selbst für Eingeweihte kaum noch nachvollziehbar sind. Zudem vervielfältigt sich mit den räumlichen Möglichkeiten, die der Ollie erschließt, die Art und Zahl befahrbarer Orte.
Schon diese Umstände bringen in den früheren 1990ern das Wettkampfgeschehen zeitweise fast zum Erliegen. Hinzu kommt ein Faktor, an den man nicht gleich denkt: die rasante Entwicklung der Videotechnik. Camcorder und Schnittprogramme für den PC ermöglichen nach 1990 einen Boom an Skateboard-Videos, welche mit Musik unterlegt werden. Nicht wenige Aktive, auch bekannte Profis, sind nun hauptsächlich in solchen Clips präsent. Wie schon Anfang der 1980er Jahre wird Skateboarding nach 1990 wieder hauptsächlich eine subkulturelle Jugendszene. Auch wenn sich mit einer deutlichen Hinwendung zur Hiphop- und Graffitiszene dabei die ästhetischen Koordinaten verschieben. Dort bewegt sich auch der Kleidungsstil hin und man kann erkennen, dass durch Fotografie, (Graffiti)Kunst, Videographie und Musik Kultur einen großen Einfluss auf Skateboarding hat. Big Pants, small Wheels wird die Ära auch gerne genannt.
Entstehung der Olympiadisziplinen „Street“ und „Park“ (2000-2015)
Ungefähr um 2000 beginnt sich die nun vorherrschende Art des Skatens, Street, auch für die Allgemeinheit zu etablieren und es werden Skateparks und –hallen mit Street-Elementen (Treppen, Geländer, etc…) gebaut. Mit dieser Standardisierung des befahrenen Terrains bewirkt wiederum auch eine gewisse Vereinheitlichung der Bewegungen. Das fördert die objektive Vergleichbarkeit einzelner Runs und damit die Wettkampfeignung von Street Skateboarding. Hinzu kommt – im Rahmen zum Beispiel der 2010 in den USA als privatrechtliches Fernsehformat gestarteten „Street League Skateboarding“ – spezielle Software zur Bewertung einzelner Runs in Echtzeit. Auch die zweite heutige Olympiadisziplin entwickelt sich nach der Jahrtausendwende aus zunächst privatrechtlichen Events: Park Skateboarding wird in Parcours ausgeübt, die zwar in ihrer Basis den leeren Swimming Pools aus den 1970er Jahren ähneln, haben aber größere Dimensionen angenommen und beinhalten, neben den essentiellen Rundungen (Transitions) auch Elemente aus dem Street-Bereich, wie bspw. Rails und Banks. Die klassischen Tricks der Halfpipe werden mit modernen Tricks aus Street gemischt. Diese beiden Disziplinen bilden die Vielfalt der tatsächlichen Praxis nur unvollständig ab: vom Big-Air-Skateboarding auf an Skisprungschanzen erinnernden Bauwerken bis zum Longboard Dancing entstehen immer neue Subdisziplinen. Aber Park und Street bleiben die zwei am weitesten verbreiteten Disziplinen und ziehen somit auch die meisten Zuschauer an. Vor allem Park ist sehr spektakulär, weshalb auch die breite Masse daran Spaß hat. Deshalb wurden auch diese Disziplinen Anfang der 2000er besonders gefördert und als Events ausgetragen. Es war eine Frage der Zeit, bis sich die Verbände zusammenschlossen, Vereine gegründet wurden und schließlich auch das IOC Interesse an Skateboarding in der Form, in der es bereits bei Street League und der Vans Park Series gezeigt wurde, bekundeten.